Kreuz-Verhör mit Pfarrerin Lisa Tumma aus Neuhäusel - Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche fragt nach


Neuhäusel/ Westerwald Einige Kirchengemeinden im Westerwald feiern schon wieder Gottesdienste in ihren Kirchen – unter strengen Schutzauflagen. Die Bilder von Pfarrern und Gottesdienstbesuchern mit Gesichtsmasken und den großen Abständen in den Kirchenbankreihen wirken befremdlich. Manche finden, man sollte unter diesen Umständen weiter verzichten und auf die umfangreichen digitalen Angebote zurückgreifen. Andere freuen sich sehr, dass man wieder in einer Kirche zum Gottesdienst zusammenkommen kann.

Ich bin Nadine Bongard und arbeite im Fachbereich Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Dekanat Westerwald. Nachhaltige Wirtschaftspolitik, Arbeits- und Sozialthemen, Infrastrukturprobleme im ländlichen Raum, Umweltthemen und Digitalisierung sowie Jugendpolitische Bildung sind die weitgefächerten Themen, mit denen ich mich im Westerwald in Zusammenarbeit mit dem zugehörigen Zentrum für Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Mainz beschäftige. Aktuell möchte ich wissen, wie sich die Corona-Krise auf unsere Kirchengemeinden und unser evangelisches Leben im Westerwald auswirkt. Ich habe nachgefragt - bei Pfarrerin Lisa Tumma aus Neuhäusel. Die junge Pfarrerin stammt aus dem Taunus und leitet seit rund einem Jahr die Evangelische Erlöser-Kirchengemeinde Neuhäusel.

 

Bongard: Was halten Sie von der Öffnung der Gottesdienste?

Tumma: Es gibt dafür zahlreiche, genaue Auflagen, die sicher schwierig zu erfüllen sind. Gottesdienst ohne Singen und auf Abstand? Für mich schwer vorstellbar. Ich fühle mich in meiner Religionsausübung nicht so sehr eingeschränkt, wie das andere tun. Ein digitaler Himmelfahrtsgottesdienst ist für mich gut vorstellbar. Natürlich ist physisches Beisammensein im Gottesdienst wertvoll, aber die große Verantwortung für die Gesundheit der Teilnehmer überwiegt meiner Meinung nach den seelsorgerlichen Nutzen.

 

Bongard: Kirchliche Veranstaltungen fallen ja aus. Was gibt es für Sie als Pfarrerin gerade zu tun?

Tumma: Ganz viel passiert übers Telefon. Ich rufe selbst an oder werde angerufen. Dabei kommt es zu Gesprächen, die ohne die Coronabeschränkungen mit diesem Tiefgang nicht zustande gekommen wären, zum Beispiel mit Konfirmandeneltern oder Senior*innen, die anrufen um sich für meine Geburtstagkarte zu bedanken. Diese längeren und intensiven Gespräche empfinde ich als Bereicherung.

 

Bongard: Was empfinden Sie als schwierig in dieser Phase?

Tumma:  Keine Gruppenveranstaltungen, nicht zusammen Gottesdienst feiern und Gemeinschaft haben zu können! Die Glocken werden ja trotzdem geläutet, wir verteilen Vorlagen für den häuslichen Gottesdienst. Ich zünde mir eine Kerze am Küchentisch an. So fühle ich mich mit den Menschen aus der Gemeinde oder dem Freundeskreis verbunden. Aber besonders an Ostern war es trotzdem ziemlich traurig.

 

Bongard: Ein Gedankenexperiment: Wir schreiben das Jahr 2055. Wie hat sich Kirche verändert?

Tumma (lacht): Es gibt immer noch den sonntäglichen Gottesdienst mit Orgel und Chorälen, denn es gibt auch noch Menschen, die daraus Glauben und Kraft schöpfen. Daneben gibt es aber andere, gleichwertige Gottesdienstformen, zum Beispiel einen Kochabend mit anschließendem Tischabendmahl, oder ein Familienevent mit modernen Gottesdienstelementen – als ebenbürtige Alternative zum Gottesdienst am Sonntagmorgen.

 

Bongard: Sind Pfarrer*innen systemrelevant?

Tumma: Wir sind wichtig an den Schaltstellen des Lebens und Sterbens und in der Seelsorge, bei Bestattungen und in der Trauerarbeit.

 

Bongard: Was kann Kirche, was andere nicht können?

Tumma: Ich denke, wenn es um große Themen wie Angst, Einsamkeit und Sterben geht, haben wir als Gläubige und als Kirche viel beizutragen. Wir können durch den Glauben dem nämlich etwas entgegensetzen: Hoffnung, Zuversicht, Trost. Gott ist da. Das lässt uns auch viel aushalten. Wir kämpfen die gleichen Kämpfe wie alle. Das Social Distancing raubt Kraft, macht einsam, müde und traurig. Aber der Glaube an Gott ist eine Kraftquelle.

 

Bongard: Ein Kraftakt wird auch die Bewältigung der Klimakrise nach der Coronakrise. Was ist das Ihre Prognose?

Tumma: Ich befürchte, das Thema Klimawende wird von anderen Themen an den Rand gedrängt und erst mal keine große Rolle spielen. Wir sollten den Blick über den Tellerrand nicht verlieren, werden aber erstmal viele Herausforderungen zu bewältigen haben, die aus der Pandemie resultieren.

 

Bongard: Also hoffen und beten?

Tumma: Ich glaube nicht, dass unser Gebet den Lauf der Dinge in der Welt ändert. Aber wenn ich bete, ändert sich etwas in mir selbst: Ich kann dann ein Stück weit loslassen, was mich sorgt oder belastet macht und gleichzeitig Hoffnung schöpfen. So wächst in mir neue Kraft, um selbst etwas zu tun und die Welt ein kleines bisschen zu verändern.

 

Evangelisches Dekanat Westerwald

Sabine Hammann-Gonschorek | Peter Bongard

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